Nein!

Ein etwas ungewöhnlicher Einstieg in einen Dialog. Ein Nein klingt nicht einladend, eröffnend, auffordernd. Ich erinnere mich gut an die Phase, als mein Sohn zwei oder drei Jahre alt war und neugierig die Welt entdeckte. Dabei lauerten auch Gefahren, vor denen ich ihn schützen musste. Und es standen auch mal Bedürfnisse gegeneinander, so dass ein entschiedenes und beherztes Nein eine Grenzen setzen musste. Auch wenn es in der Situation hart war und dazu führte, dass eine/r von uns unzufrieden war, führte es doch langfristig zu Klarheit: Mein Wort gilt, daran kannst Du Dich halten. Kindern hilft so eine Klarheit bei der Orientierung in ihrem Leben.

Auch in der Sexualpädagogik zählt das Nein-Sagen zu den wichtigsten Kompetenzen, um auf den eigenen Körper zu achten und die eigenen Bedürfnisse zu schützen und Grenzen zu wahren. „Nein, mein Körper gehört mir!“ lautet der eingängige Satz, den Kinder vermittelt bekommen, um sie stark gegen Übergriffe zu machen. Daher ist Nein ein wichtiges „Körperwort“: Nein, ich möchte keinen Kuss. Nein, ich will diese Berührung nicht. Nein, so darfst Du mich nicht behandeln. Auf die Körpersignale zu achten, schützt mich auch in anderen Entscheidungen meine Grenzen zu wahren und meinen inneren Bedürfnissen auf die Spur zu kommen.

Nein, ich will mir nicht länger diktieren lassen, wie ich es machen soll, ich will diese Gedanken nicht denken, die mir schaden und mich fremd bestimmen. Sie sperren mich in ein Korsett ein, das mir einfach zu eng ist. Ich fühle mich beschnitten und gestutzt. Zur Zeit versuche ich, diese Nein-Notbremse zu ziehen, wenn mir Ratschläge gegeben werden, wie ich meinen Weg zu gehen habe. Ich will bei meiner Begeisterung bleiben!

Ich wäre so gerne unabhängig, frei wie ein Vogel. Aber so bin ich nicht. Mich beschäftigt zu stark, was ich von anderen höre, was ich um mich herum wahrnehme, mich trifft, was andere sagen. Ein Wort, ein Ignorieren –  und meine Begeisterung verpufft und zuplatzt wie eine Seifenblase. Der Kontakt zu mir und meinen Energiequellen ist weg, weggeschwemmt, aufgesogen, im Abfluss verschwunden. Dann kostet es mich Kraft und Anstrengung zu meiner Energie zurückzufinden, ihr wieder Raum zu geben, sie wieder aus ihrem Käfig zu befreien . Diese Sensibilität für die Untertöne, die dahinterliegenden Botschaften ist Preis und Gewinn zugleich: Sie verschafft mir Zugang zu mir selbst, ganz „feinstofflich“, und auch echten Kontakt mit anderen. Sie bewirkt aber auch, dass mich Reize und Reaktionen von außen mit großer Wucht gleich in meinem Innersten treffen. Ich denke einfach zu viel darüber nach. Ich reflektiere ohne Unterlass – wenn ich so beten würde, wäre ich eine Heilige!

Ich will mit mir selbst gnädig sein und den ermutigenden Stimmen trauen. Zur Ermutigung noch diese schöne Geschichte:

Ignace Jan Paderewski, der berühmte Komponist und Pianist, hatte eine Vorstellung in einer großen Konzerthalle. Es war ein denkwürdiger Tag – schwarze Smokings und lange Abendkleider, eine volle Ladung Extravaganz der High Society. In der Zuschauermenge jenes Abends befand sich auch eine Mutter mit ihrem unruhigen neujährigen Sohn. Des Wartens müde, räkelt er sich fortwährend in einem Sitz. Seine Mutter war der Hoffnung, dass ihr Junge Mut bekommen würde, Klavier zu üben, wenn er den unsterblichen Paderewski hören würde.
In einem unbedachten Augenblick vor Beginn des Konzerts schlüpfte er weg von ihrer Seite, seltsam hingezogen zu dem großen Steinway-Flügel aus Ebenholz und seinem ledernen Stuhl auf der riesigen Bühne, überflutet von blendendem Licht. Ohne große Beachtung des Kultur beflissenen Publikums setzte sich der Junge auf den Stuhl und starrte mit großen Augen auf die schwarzweiße Tastatur. Er legte seine kleinen, zitternden Finger in die rechte Stellung und begann den „Flohwalzer“ zu spielen. Irritiert und verärgert ertönten Rufe aus dem Publikum:
„Entfernen Sie den Jungen vom Podium!“
„Wer hat so ein kleines Kind mit hierher gebracht?“
„Wo ist seine Mutter?“
„Jemand sollte ihn bremsen!“
Hinter der Bühne lauschte der Meister auf die Klänge. Eilig griff er nach seinem Rock und ging schnell auf die Bühne. Ohne ein Wort der Ankündigung beugte er sich von hinten über den Jungen, reichte mit dem Armen um ihn herum und fing an, eine Begleitmusik zu improvisieren. Als die beiden so miteinander spielten, flüsterte Paderewski dem Jungen immer wieder ins Ohr:

„Mach weiter! Gib nicht auf, Sohn! Spiel weiter……hör nicht auf…..gib nicht auf.“

Ich lade zu einer Übung ein: Wo ist es heute dran, auf meine Grenzen zu achten? Wo sagt mein Körper Nein zu einer Anstrengung, einer Bitte, einer Bewertung? Probiere mutig aus, dem Nein zu folgen.

Reflexion: Welche Stimmen werden in mir laut, wenn ich leise werde?

10 Kommentare zu „Nein!

  1. Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
    Liebe Christiane,
    was für eine wunderschöne Geschichte und was für eine Szene. So einen Mentor, so eine Mentorin sollten wir alle haben, in uns oder im Außen.
    Ich glaube, dann könnten wir viel besser Nein zu dem sagen, was uns nicht gut tut und Ja zu allem anderen. Und ja, das Nein ist das, was mehr Mut erfordert, eine tägliche Heruas- und Hereinforderung ins Leben,
    danke und eine gute Nacht,
    Mia

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  2. Liebe Christiane,
    als ich Deinen Post gelesen habe, fiel mir ein Buch ein, was ich grad gelesen habe https://psychologie-heute.kohlibri.de/product_info.php/info/p1693091_Die-Kraft-des-Fuehlens.html und was mir mich ein bisschen erklärt hat. Ich kämpfe auch manchmal sehr mit der Bewertung, die andere für mich und von mir vornehmen und eben auch meiner eigenen Feinfühligkeit gegenüber den Stimmungen der Anderen. Das Buch macht es mir leichter, diese Eigenschaft als Schatz anzunehmen und mich und ihn zu beschützen.
    Liebe Grüße
    Anne

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    1. Liebe Anne,
      danke für den Literaturtipp! Eine Freundin hat mich gerade auch auf Hochsensibilität aufmerksam gemacht. In ihrem Buch war ein Test mit Fragen und davon habe ich ca. 2/3 mit Ja beantwortet… Damit werde ich mich also auch mal beschäftigen und bin gespannt, was ich entdecke.
      Danke für das Teilen Deiner Erfahrung.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      1. Liebe Christiane,
        jetzt habe ich Deine Anfrage auch hier gesehen. Ich habe Dir ja schon gemailt, dass ich Dir das Buch morgen mitbringe.
        Bis dahin
        Liebe Grüße
        Anne

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  3. Liebe Christiane, welch schöner, ermutigender und kraftgebender Post. Eine ganz wunderbare Einladung zu all den Dingen NEIN zu sagen, die uns nicht gut tun. Das seltsam Ambivalente darin ist ja, dass wir – wenn wir NEIN zu all diesen Dingen sagen – wir in Wahrheit JA zu uns und unseren Bedürfnissen sagen.
    Dankeschön und liebe Grüße
    mo…

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  4. Liebe Christiane,
    wie mir das gefällt! Es ist sooo wichtig, nein sagen zu können, bei sich zu bleiben, zu sich zu stehen und es ist vor allem wichtig, den Kindern das einzupflanzen. Es ist ja der Respekt vor sich selbst, den jeder braucht.
    Die Geschichte mit dem kleinen Pianisten berührt mich sehr.
    Danke für diesen wundervollen Beitrag.
    Gabriele

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  5. Liebe Christiane,
    da ich das mit der Hochsensibilität gerade lese: Ich bin es auch und stehe gern dazu. Seit Jahren beschäftige ich mich damit. Wir können uns gern beim nächsten Seminar austauschen. Mein Literaturtipp: Birgit Trappmann-Korr „Hochsensitiv: Einfach anders und trotzdem ganz normal“. Ich könnte es Dir zum Ansehen auch mit zum Seminar bringen.
    Dein Blog gefällt mir richtig gut…
    LG Gabriele

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