Trauer

Trauer ist ein lang anhaltendes Gefühl.

In den letzten Wochen ist mir meine Trauer wieder sehr nah gekommen. Ich habe zwei Texte geschrieben, die mit dem Verlust  eines geliebten Menschen zu tun haben. Trauer geht nicht vorbei, ich komme nicht „darüber hinweg“, zwar ändert sie sich, das Gefühl, die Erinnerungen, die Art der Gedanken. Dennoch ist sie immer wieder neu existentiell, tiefgreifend, aufwühlend, schmerzhaft.

Ich fühle mich verlassen, leer gefegt, alle Räume in mir sind karg, unbelebt, leer. „Ich fühl mich unbewohnt“, singt es Herbert Grönemeyer treffend nach dem schmerzhaften Verlust seiner Frau. „Geh zum Kühlschrank, mach ihn auf, er ist kalt, er ist leer.“ Kälte ist ein Trauergefühl. Wenn mir gerade mal wieder besonders oft kalt ist, merke ich, wie sich die Trauer in mir breit macht, sich hineinschleicht in meinen Körper. Alles zieht sich zusammen, versucht dieses Vakuum zu füllen. Aber da ist nur Kälte und Leere. Verlorensein, verlassen sein, unendliche Einsamkeit. Grönemeyer vergleicht den Zustand in dem Lied mit einer leeren Wohnung:

Zwangsgeräumte Gründe
Gekündigt vor der Zeit
Keine Seele in vier Wänden
Hundert Jahre Einsamkeit
Alles still, unbewegte Zellen
Und das Wetter gibt’s nicht mehr
Die Straße hat keine Stimme
Autolos und kein Verkehr
Ooh, es tropft ins Herz
Der Kopf unmöbliert und hohl
Ooh, keine Blumen im Fenster
Der Fernseher ohne Bild und Ton
Ich fühl‘ mich unbewohnt
Ich fühl‘ mich unbewohnt.
Herbert Grönemeyer: Unbewohnt

Der Raum in mir ist leer, keine Gefühle, keine Bilder, keine Berührung. Ich falle in die Leere in mir. Da finde ich nichts mehr als Haltlosigkeit. Das Licht ist aus und ich finde den Schalter nicht mehr. Immer größer öffnet sich der Abgrund, in den ich hineingesogen werde. Für dieses Gefühl von Verlust gibt es keine positive Wendung. Ein Teil von mir ist mit dem anderen gegangen, fehlt. Füllen kann ich ihn durch Bilder der Erinnerung, Gefühle, die nicht aufhören, den Schatz, den ich in mir trage durch die Beziehung zu dem geliebten Menschen, die ich hatte. Dem Nachspüren kann mich neu beleben.

Und dann gibt es auch Trost und Hoffnung. Nach dem Tod meiner Mutter schrieb ich diese Gebetsmeditation:

Schöpferkraft und Auferstehungsmacht

Gott, Du gibst uns den Lebensatem.
Du möchtest uns zum Klingen bringen wie ein Instrument.
Den bestmöglichen, schönsten Klang
stellst Du Dir für unser Leben vor.
So wie Du uns gedacht hast: rein, klar, tief und voll.
Wir sind als Menschen verstimmt, haben Macken,
so dass der volle Klang gestört ist.
Du leidest an unseren Begrenzungen
und kannst sie heilen, wenn wir dich dazu einladen
und dich an uns wirken lassen.
Heilung heißt, wieder stimmig werden.
Vergeben heißt, uns im Vertrauen auf Dich als Schöpfer hingeben.
So wird der volle Lebensklang hörbar,
Gott, Du klingst durch uns hindurch.
Das bleibt bestehen in Zeit und Ewigkeit.

Ein Mensch zwischen Leben und Tod,
verzweifelt, ängstlich, schwach –
geborgen, friedlich, erlöst.
Eine Stimme hat aufgehört zu klingen,
ein Herz hat aufgehört zu schlagen.
Wir nehmen den Lebensklang nicht mehr mit unseren Sinnen wahr.
Bei Dir, Gott, kommt der Ton nun zur Vollendung
und ist in Klarheit und Schönheit zu hören.
Ohne Schmerzen, ohne Leid, ohne Schuld
steht der Mensch rein und geheiligt vor Dir, Gott.
Er ist geborgen in deinem Arm. Umhüllt und ummantelt.
Sein Lebensklang bleibt hörbar bis in Ewigkeit.

Gott, Du sprichst: Siehe, ich mache alles neu.
Der Übergang in den Tod und in das ewige Leben ist ein Geheimnis.
Für uns scheint das abrupt, endgültig beendet.
Für Dich, Gott, ist es ein Wechsel von einer Seinsform in eine andere.
Alles Irdische hört auf,
es bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe
und die Liebe ist die größte.

Bei Dir, Gott, bin auch ich geborgen,
still wie ein Kind, das von seiner Mutter getröstet wird.
Bei Dir ist Trost und Heil.
Meine Seele kehrt in Frieden ein.

 

Hilfe für Trauernde, die ankommt:

Dasein, Zuhören, Leere nicht wegreden, aushalten, mit halten, Alltägliches abnehmen, Zeit lassen.

Trauer ist individuell. Wie ergeht es Euch?

 

15 Kommentare zu „Trauer

  1. Liebe Christiane,
    ein sehr nahegehender Text und ein zutiefst existentielles Thema, der Tod eines geliebten Menschen, den wir vermissen, den wir in so vielen großem Klenigkeiten spüren und dessen Nicht-mehr-da-sein uns auch mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert… Ich kenne dieses von dir beschriebene Gefühl sehr gut, für dass es keine Zeit gibt. Mir helfen gemeinsame Erinnerungen, die ich weiter Pflege, sie anderen erzähle, sie aufschreibe, denn in mir lebt dieser Mensch weiter, er ist nur vorausgegangen… Das klingt einfacher als es oft von mir gelebt werden kann, aber daran glaube ich zutiefst und es ist schön und tut immer noch weh, mich an all das zu erinnern , was diesen Menschen ausgemacht hat. Schön und traurig und voller Hoffnung, dass es irgendwann besser wird, und da wartet das Schreiben auf mich…
    Ganz liebe Grüße,
    Sabine

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    1. Liebe Sabine,
      danke. Danke, dass Du durch Deine Zeilen mittrauerst. Und auch für Deine Gedanken zum Trost: Erinnerungen, schöne Momente, Hoffnung auf Besserung. Wiederaufleben beim Schreiben. Nichts geht verloren.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  2. Liebe Christiane,

    ich habe in meiner Kurzgeschichte für das Prosamodul den Tod meiner Mutter für mich noch einmal „aufgearbeitet“. Das war sehr heilsam. Wir hatten ein schwieriges Verhältnis zueinander und erst jetzt, fast zwei Jahre nach ihrem Tod, macht sich Trauer in mir breit. Erst jetzt vermisse ich sie wirklich, weil ich so lange gebraucht habe, über die Verletzungen, Kränkungen und Verweigerungen hinweg, das zu sehen, was sie mir gegeben hat. Jetzt würde ich sie manchmal gern anrufen um ihr zu erzählen, was mich bewegt. Nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus dem Bedürfnis heraus, ein Stück meines Lebens zu teilen. Nun ist sie nicht mehr da und das schmerzt und treibt mir heute die Tränen in die Augen, die ich damals nicht weinen konnte. Ich bin froh um diese Tränen, denn sie Versöhnen mich mit der Mutter die ich hatte und schwemmen die Wut über den Mangel hinweg. Von daher begrüße ich die Trauer als Versöhnung.

    Herzliche Grüße
    Anne

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    1. Liebe Anne,
      danke. Für das Teilen Deiner Trauer. Ja, der Tod eines nahen Menschen kann zu ganz unterschiedlichen, manchmal auch unerwarteten Reaktionen führen. Und es kann ein langer Weg der Auseinandersetzung sein, der durch verschiedene Gefühle hindurchführt. Auch dieser Weg ist individuell, länger oder kürzer, gerade oder krumm … Das Nicht-Gelebte schmerzt. Hier fängt der Weg der Versöhnung an, auch mit mir selbst und den eigenen Versäumnissen. Und der Einladung, heute zu leben mit allem, was dazu gehört.
      Herzlich
      Christiane

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  3. Liebe Christiane,
    dein Beitrag trifft mich in einer Zeit, in der ich fast nur Trauer bin, kein anderes Gefühl scheint Platz zu haben. Da ist er der Abgrund, der sich immer weiter öffnet und von dem du schreibst. In diesen Strudel nehm ich alles mit, was ich verloren habe, die großen und die kleinen Tode. Am stärksten berührt mich dein Satz „Für dieses Gefühl von Verlust gibt es keine positive Wendung.“
    Du schreibst auch von der Einsamkeit der Trauernden. Mein Gefühl des Verlassenseins befeuert meine Trauer Tag für Tag. Ich fühle mich nicht nur von denen verlassen, die wirklich gegangen sind, sondern auch denen, die noch da sind, als wäre da eine Wand zwischen uns, an der beide Seiten bauen. Die „Anderen“, die den Trauerkloß satt haben und dem Leben zuwenden, und auf der anderen Seite ich, die ich mich immer weiter entferne. Macht Trauer einsam oder mache ich mich selbst einsam?
    Wenn ich dein Gebet lese, sehne ich mich danach, wieder glauben zu können. So fühle ich mich untröstlich. Obwohl, nein, es stimmt nicht, Du hast mich ein wenig getröstet. Weil du die Trauer nicht verschweigst. Danke dafür. Ich wünsche Dir und mir und allen Trauernden Trost.
    LG Amy

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    1. Liebe Amy,
      danke. Danke, dass Du Deine Wut, Deine Verzweiflung, Deine Offenheit teilst. Deinen Schmerz, Deinen Verlust, Deine Hoffnungslosigkeit. Ja, Trauer kann einsam machen. Wenn das Leben um mich herum weitergeht. Der Alltag wieder Fahrt aufnimmt. Und bei mir die Welt noch völlig aus den Fugen ist, der frühere Pfad im Gestrüpp der Gefühle verschwunden ist.
      Mir hat es geholfen, mich der Trauer zu stellen. Mich ihr zu widmen. Mir die Zeit dafür zu nehmen. Ich habe in mich hineingehört und -gespürt, was ich brauche. Ich habe gute Bücher gelesen, die mir geholfen haben, zu verstehen, was da passiert. Ich habe mit anderen gesprochen, die Trauer auch kennen. Ich habe viele Tränen geweint und mir dann auch das Lachen wieder erlaubt. Ich habe Abstand genommen, wo ich noch nicht bereit war für Veränderungen. Ich suche noch Rituale, Symbole und Gesten der Erinnerung, die heilsam sind und die Wunden nicht wieder aufreißen. Was habe ich von dem geliebten Menschen im mir, was weiterleben möchte, was ich weiterleben möchte? Was ist nicht meins und an der Zeit loszulassen? Das dauert…
      Ich drück Dich.
      Christiane

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  4. Liebe Christiane,

    Prinzenrequiem
    für Andreas 3|03|1979 – 18|07|1999

    Nun, kleiner Prinz, hast du die Zelte abgebrochen
    und musstest plötzlich gehen.
    Und wir, wir bleiben hier im Schutt
    und deiner Asche stehen,
    gänzlich durchbohrt
    von Worten, Dolchen, Schmerzen
    und diesem zehrenden Warum
    an unsren Herzen,
    warum du sterben musstest,
    jetzt und so…
    Wo nur bist du hingegangen, wo?
    Und dieses schreckliche Erkennen, du bist fort,
    erschafft aus Brust und Stirn dich neu an einem Ort,
    wo das Erinnern wohnt:
    So wird aus unsrem Prinzen
    unser Mann im Mond.

    mw 19|07|1999

    Dieses Gedicht habe ich geschrieben, nachdem wir erfahren hatten, dass unser sehr guter Freund und gleichzeitg auch mein Mitbewohner Andreas bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Er liebte die Geschichte vom kleinen Prinzen und er konnte wunderschön zeichnen. Es gibt eine Zeichnung von ihm, da sitzt ein maskierter Mann sinnierend auf einer Mondsichel…
    Tatsächlich – Synchronizität kann auch ganz schön ironisch sein – war er kurz vorher auf einem Herbert Grönemeyer-Konzert der „Schmetterlinge im Eis“-Tour. Das Album lief danach bei mir in Dauerschleife, der perfekte Soundtrack für meinen Schmerz…
    Ich habe Jahre gebraucht, um mich mit der Trauer zu arrangieren. Und es hat Zeiten gegeben, da hat die Trauer uns gemeinsam Trauernde sogar entzweit, isoliert, plötzlich hat unsere Trauer uns von einander getrennt, weil sie so individuell war, aber sie hat uns irgendwann auch wieder zusammengeführt…
    Heute weiß ich, dass meine Trauer zu einem Teil von mir geworden ist. Es gibt ein Lied, das mich sehr bewegt, weil es dieses Gefühl so sehr auf den Punkt bringt:
    „Still“ von Jupiter Jones

    Heute kann ich meiner Trauer sogar etwas Positives abgewinnen. Sie hilft mir bei meiner Arbeit. Ich kenne und verstehe diese Art von Schmerz und von damals weiß ich, wie wichtig es ist, sich verstanden zu fühlen, mit diesem alles überflutendem Gefühl nicht völlig allein zu sein…

    Deshalb sind Posts wie Deiner auch so wichtig!
    Dankeschön!

    Liebe Grüße
    mo…

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    1. Liebe Mo,
      danke. Es ist sehr berührend, was Du von Deiner Trauer schreibst, die ja scheinbar schon sooo lange her ist. Trauer hört irgendwie nicht auf, stimmt. Ich mag den Kleinen Prinzen auch sehr, daher kommt mir Dein Gedicht auch sehr nah, auch wenn ich Andreas nicht kannte. Da jede*r anders trauert, ist es nicht immer leicht beieinander zu bleiben. Das erlebe ich in der Familie auch. Das schmerzt mich dann noch mal auf andere Art, weil dann auch zwischen den Lebenden etwas verloren oder zu Bruch geht.
      Das Lied ist wirklich schön und passend. Danke auch dafür!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  5. Für mich ist Trauer und generell Angst vor Vergänglichkeit ein großes Lebensthema. Dieses WEG SEIN ist etwas, das mich schon als kleines Kind in die tiefste Verzweiflung getrieben hat und bis heute enorm nachwirkt. Vor allem haben sich, so meine Vermutung, eng an dieses Thema Versagensängste und heftigste Schuldgefühle gekoppelt. Solange ich denken kann, lebte ich in der Illusion, ich müsste nur gut genug aufpassen, mir Mühe geben, dann könnte ich verhindern, dass etwas Schlimmes passiert. Da ich natürlich logischerweise nie Schicksal spielen konnte, ist diese kindliche Vorstellung nicht ganz aufgegangen. Was da enorm hängen geblieben ist, ist mein perfektionistischer Antrieb meines Gehirns, noch Jahre später im Inneren Situationen durchzugehen, in denen ich hätte achtsamer, aufmerksamer sein müssen… Bei mir hat Trauer definitiv einen traumatischen Charakter. Ist verknüpft mit zig hoch komplexen Erinnerungen und stets mit solch intensiven Gefühlen, das ich oft das Gefühl habe, ich sterbe. Schon als Kind. Als mein Vater starb, war ich einfach nicht zu beruhigen. Monatelang habe ich Tag und Nacht durchgeheult, bin ständig hyperventilliert, vor Erschöpfung eingeschlafen und zwei Stunden später erwacht und dann ging sofort wieder das Schockgefühl an, die Gefühle der Panik und Verzweiflung und des Nicht Wahr haben wollens und wieder heulte und schrie ich.

    Aktuell lerne ich einen konstruktiven Umgang mit dem Thema „Verlust und Trauer“, doch ich gebe zu, dass der Tod meiner Oma 2014 so viel in mir aufgerissen hat, dass ich da wieder enorm viel zu verarbeiten und zu fühlen habe. Ja, zu fühlen, durchzufühlen, ohne dass irgendwas in mir erstarrt und den Energiefluss ins Stocken bringt. Ich brauche Ewigkeiten, um Verluste zu verarbeiten, zu begreifen, in allen möglichen Dimensionen zu erfassen…

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    1. Danke für das Teilen Deiner Trauererfahrung. Trauer ist individuell und einen Verlust als Kind zu erleben, hinterlässt es noch mal ganz anderen Verletzungen. Die können vielleicht sogar eher dadurch entstehen, wenn die Trauer nicht erklärt oder unterdrückt wird, wenn sie nicht sein darf. Und „durchfühlen“ kostet sehr viel Kraft, ja. Mir diese Zeit zu erlauben, das lerne ich.

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