An diesem Graffiti bin ich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit vorbeigefahren. Das war für mich eine gute Erinnerung daran, in mir diesen Raum wahrzunehmen, der für andere unbetretbar ist, der Ort, an dem ich mich in mich zurückziehen kann, wenn es zu hoch her geht, der Raum, an dem ich bei mir und geschützt bin, wo es sich gut anfühlt, wo ich gut sein kann.
FreiRaum ist so ein wunderbarer Focusing-Begriff! Das Schöne beim Focusing ist, dass dieser Ort ein körperlich gespürter Ort ist, keine reine Imagination von einem „guten Ort“, den ich mir nur kognitiv vorstelle. Wenn ich gut geübt bin, dann ist die körperliche Erinnerung daran manchmal sogar schneller als mein Kopf: Ah, da ist er ja, mein FreiRaum! Gut, dass er da ist. Der körperlich wahrgenommene und erlebte FreiRaum im Focusing muss nicht immer die gleiche Stelle im Körper sein, sondern kann auch während des Focusing-Prozesses wechseln. Es muss also nicht der sichere Ort sein, an den ich zurückkehre, wenn gerade etwas Bedrohliches oder Schmerzhaftes auftritt. Sondern dieser Raum, der mir Abstand von anderen Empfindungen in mir ermöglicht, kann immer wieder neu in mir entstehen. Wichtig ist, überhaupt mit diesem Raum in Kontakt zu sein, diese Möglichkeit körperlich schon einmal erfahren zu haben. Daher ist dies die erste Übung im Focusing: FreiRaum schaffen.
FreiRaum ist etwas anderes als Leere, eher ein Ort frischer Luft, ein Raum zum Verweilen, zum Auftanken und neue Kraft schöpfen. FreiRaum kann ich finden, in dem ich alle Themen, die mich besetzen, beschäftigen oder belasten benenne, vielleicht mit einem Symbol oder einem Begriff versehe und dann beiseite lege. Und wenn all das nicht mehr in mir ist, entsteht FreiRaum.
Im FreiRaum-Schaffen öffnen sich Gefühle und Erfahrungen in der Dimension von Glück, Vertrauen, Zu-Hause-Ankommen, Geborgenheit, nährende Sicherheit, Zutrauen, spiritueller Tiefe, Verbundenheit usw.
Klaus Renn, Magische Momente, S. 55
Wie gelange ich an diesen Ort? Wie kann ich ihn erleb- und spürbar machen?
Heute eine etwas ausführlichere Übungsanleitung: Ich folge meinem Atem und nehme dadurch die Innenräume meines Körpers wahr. Ich halte inne, gönne mir einen Moment des Verschnaufens. Ich suche eine Stelle in meinem Körper, wo ich gerade gut sein kann, wo es sich gut anfühlt, wo ich mich wohlfühle. Bei mir ist das manchmal der Brustkorb, der sich ganz frei und offen anfühlt, wo ich Platz habe. Oder es können die Oberschenkel sein, in denen ich Kraft und Festigkeit wahrnehme. Vielleicht sind es auch die Hände, die pulsieren oder eine wohlige Wärme ausstrahlen. Ich nehme mir ein paar Momente, um es auszukosten, an diesem Ort zu sein. Manchmal ist es ja gerade dann so, wenn ich mich entspanne und ich zur Ruhe komme, dass es dann in mir umso unruhiger wird, alle möglichen Themen auf mich einströmen und Aufmerksamkeit verlangen. Wenn ich das wahrnehme, auch irgendwo in meinem Körper, dann kann ich die Themen benennen. Dann wähle ich ein Thema aus, gebe ihm eine Überschrift und nehme dann das Ganze und lege es neben mich. Wie ist es, das Thema so nicht mehr in mir zu fühlen, sondern dort wieder frei zu sein? Merke ich einen Unterschied, wenn da Platz in mir ist? Noch nicht? Vielleicht hilft es, eine freundliche Einladung an den Körper auszusprechen, wie es sich anfühlen würde, wenn das Problem oder die Frage bereits gelöst wäre. Und dann wachsam darauf achten, was sich körperlich verändert. Der Körper „weiß“ schon, wie es sich anfühlt, wenn es gelöst wäre. So kann ich wieder ein bisschen mehr FreiRaum gewinnen. So kann ich die verschiedenen Themen, die mich beschäftigen zunächst wahrnehmen und begrüßen, dann herausstellen und ihnen einen Platz geben und schließlich danach fragen, wie es sich anfühlen würde, wenn es schon gelöst wäre.
Reflexion: Wie ist es so ganz in meinem FreiRaum zu sein? Wo nehme ich ihn heute wahr?
Literaturhinweis:
Die FreiRaum-Schreibweise und habe ich von Klaus Renn: „Magische Momente“ (s. Goodreads) übernommen. Auch die Beschreibungen wurden aus diesem Buch und meinen Focusing-Ausbildungen inspiriert.
Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
Liebe Christiane, das Grafitti als Impuls zu nehmen, an dem du täglich vorbeigefahren bist, gefällt mir sehr gut und passt so anschaulich zum FreiRaum. Graffitis nehmen sich ja auch den FreiRaum im öffentlichen Raum … Banksy, den ich jetzt in Amsterdam gesehen habe.
Ich habe gerade ein wenig in das Buch hineingelesen und einen tollen Satz gefunden „…wir sind irgendwo, im Zweifelsfalle genau hier, wo wir jetzt sind.“
Dieses Irgendwo ist oft Alltag und so sind wir gedanklich überall, nur nicht bei uns, obwohl wir immer und in jedem Moment sind.
Danke für die Erinnerung an genau diesen existentiellen, körperlichen Aspekt unseres Seins , werde ich diese Übung am Wochenende mal ausprobieren und dir erzählen, wenn du magst,
liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Sabine
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Liebe Sabine,
klar bin ich gespannt auf Deine Erfahrungen beim Ausprobieren! Spannendes Buch erwähnst Du, ist es von Banksy?
Liebe Grüße
Christiane
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Liebe Christiane,
ein wunderschöner Gedanke und eine wunderbare Übung, in sich selbst solchen FreiRaum zu schaffen. Es hat tatsächlich etwas befreiendes, in sich selbst zur Ruhe kommen zu können und die Dinge, die einen gerade belasten oder bewegen zu benennen und dann für’s erste zur Seite zu legen… Danke für diese Inspiration.
lg. mo…
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Liebe Mo,
ja, der FreiRaum als körperliche Erfahrung in mir verankert ihn ganz anders in mir drin. Hast Du es ausprobiert?
Liebe Grüße
Christiane
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Liebe Christiane,
ja ich habe es probiert. Bisher zieht es mich in meinen zweitkleinsten linken Zeh, wobei der Zugang dazu seltsamer Weise über eine Art Vorraum in meinen Bauch direkt hinter dem Bauchnabel geht, als gäbe es zwischen den beiden eine Art Wurmloch… Eine spannende Erfahrung.
lg. mo…
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Liebe Christiane,
danke für diese Übung, die ich gleich heute Abend noch ausprobieren werde (auch wenn ich fürchte, darüber einzuschlafen). Ich habe eine ähnliche, aber doch etwas andere Erfahrung kürzlich gemacht, als ich beim Tönen und Ausatmen die Räume in meinem Körper erspürt habe. Einige fühlten sich leider gar nicht gut an, aber andere waren licht und unendlich weit (bei mir waren es Hände und Kopf). Die Unruhe, die sich dann einstellen kann, kenne ich natürlich auch und finde daher den Hinweis, die Unruhe stiftenden und Aufmerksamkeit fordernden Themen zur Seite, neben mich zu legen, enorm hilfreich.
Ich freue mich sehr über diese Bereicherung!
Herzliche Grüße
Fe.
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Liebe Fe,
danke für Deine Erfahrung, die zum Focusing passt. Im Focusing werden alle Empfinungen begrüßt, auch die unangenehmen, dunklen, unpassenden… Der FreiRaum sichert mir einen Ort, an dem es sich gut anfühlt, wo ich sein kann, mich ausruhen, in den ich mich zurückziehen kann, wenn andere Gefühlen, Empfindungen, Stimmungen mich beherrschen wollen. Im Focusing heißt es dazu: Ein Teil von mir fühlt sich… (dunkel, einsam, …), und ich kann diesem Teil Gesellschaft leisten, ihn annehmen, begrüßen, ohne ihn zu verändern. Den FreiRaum zu empfinden bedarf vielleicht am Anfang ein wenig Übung. Vielleicht ist das Gefühl vage, flüchtig, schwach. Wie ein scheues Reh bedarf es der langsamen Annäherung.
Es kommt noch mehr zu Focusing. Ich wünsche Dir gute Körpererfahrungen mit den Übungen.
Herzlich
Christiane
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Liebe Christiane,
ich lese Deine Beiträge und Deine Übungsanleitungen immer ganz aufmerksam und auch sehr interssiert. An der Umsetzung scheitere ich dann aber leider immer. Weil ich zu zappelig bin? Ich glaube eher, weil ich Gelesenes nicht so gut in Körperübung umsetzen kann. Gibt es da nicht was auf CD. Vielleicht kann ich mich darauf besser einlassen
Liebe Grüße
Anne
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Liebe Anne,
vielen Dank für Deine Anregung! Ja, diese Art von Achtsamkeit im Körper zu lernen ist ohne Gruppe und gesprochene Anleitung nicht so leicht. Ich habe auch erst ein Buch gelesen und dachte: Das ist schon alles? Es hängt doch sehr maßgeblich vom eigenen Erleben ab, es zu lernen.
Es gibt Audio-Übungen, z. B. in dem Buch von Peter Lincoln: Wie der Glaube zum Körper findet. Zum Buch gehört eine CD mit 4 Übungen. Auch Klaus Renn stellt Audio-Übungen zur Verfügung (http://secret-friend.de), die ich aber nicht selbst kenne, daher weiß ich nicht genau, ob es sich um Focusing-Übungen handelt.
Vielleicht sollte ich im Blog mal eine eigene Audio-Aufnahme wagen?
Liebe Grüße
Christiane
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Liebe Christiane,
das ist eine gute Idee. Mach es einfach selbst. Ich warte gespannt drauf!
Liebe Grüße
Anne
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