Etwas ist zerbrochen

Am Anfang wagten wir noch zu hoffen,
dass es anders kommt,
aber nun ist es geschehn.

Wir können es noch nicht verstehn,
vieles bleibt im Dunkeln,
wenn wir noch einmal an den Anfang gehn.

Lange Zeit war alles Harmonie,
die Stimmung gut, die Zeit auch schön,
sonntags haben wir uns gesehen
und gedacht, da stimmte die Chemie.

Für die einen schleichend,
für die anderen plötzlich
wurde Misstrauen aufgebaut,
Zweifel machte sich breit,
Vorwurf wurde laut –
aus Heiterkeit,
und Trausamkeit –
wurde stattdessen  Streit.

Wir können es noch nicht verstehn,
vieles bleibt im Dunkeln,
ungesagt und ungesehen
auf dem Scherbenhaufen der Gefühle
tief verborgen in unsrer Seele.

Doch da ist dieser Schmerz.
Wir tun alles dafür
ihn nicht zu fühlen,
verleugnen unser Herz;
verschließen unsere Augen,
finden Ausreden und wühlen
in anderer Geschichten,
suchen Schuldige, die taugen,
um sie zu richten
und zu schicken,
als Bock in die Wüste.

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mutwillig

Dieser Beitrag ist im Rahmen einer politischen Schreibwerkstatt entstanden. Ich veröffentliche ihn heute zum Weltfrauentag.

Beziehung auf Augenhöhe – die Überwindung von Infantilismus

Als Kinder brauchen wir Bindung, bedingungslose Liebe, Nähe, Schutzraum, Verlässlichkeit, Fürsorge – und noch viel mehr, was uns einfach von unseren Eltern/ Bezugspersonen geschenkt wird. Im besten Fall. Im glücklichsten Fall. Im rudimentären, zerbrechlichen, angeknaxten Fall geschieht genau dies nicht. Es bleibt eine ungestillte Sehnsucht zurück. All die abgeschnittenen Umarmungen, die unvollendeten Tröstungsgesten, der Geschmack von Zurückgelassenwerden, das tiefe Loch der Leistungsliebe, die Unbarmherzigkeit des Übersehenwerdens – all das schlägt tiefe seelische Wunden, die in den Keller des Unterbewusstseins verbannt werden aus Schutz und für das Überleben.

Als Erwachsene treffen wir auf den Traummenschen – ah, da bist du endlich! Du wirst all meine leeren Flaschen im Keller füllen mit deinem Trost, deiner Fürsorge, deiner Zärtlichkeit und dafür bist du ja auch da oder?

Was als Beziehung auf Augenhöhe begann, artet aus in eine toxische Bedürfnis-Egoismus-Abhängigkeit, aus der nur noch Flucht heraushilft. Oder Rufmord. Oder Unterwürfigkeit. Oder Zerbruch. Jedenfalls versteckte oder offene Gewalt. Weil das so vertraut ist aus Kindertagen, wiederholen sich alle Mechanismen aus dem Beziehungs-Sandkasten.

Wie wäre es, sich mit all der Bedürfnis-Egoismus-Abhängigkeit auf Augenhöhe zu begegnen? Anerkennen, dass ich und du bedürftig sind. Wahrnehmen, dass der Egoismus diesen ungestillten Bedürfnissen entspringt. Begreifen, dass ich nicht alles für dich sein kann und du nicht alles für mich bist. Zulassen, dass wir einander loslassen und wir abhängig sind, weil pure Autonomie uns entfremdet.

Aus der Reihe „Mut„.

Photo by Ilya Ilford on Unsplash

Nur für heute

Nur für heute
möchte ich dem Drang widerstehen
mich zu verzetteln.

Nur für heute
möchte ich mein Tempo finden
und mich nicht antreiben.

Nur für heute
möchte ich loslassen,
was mich von mir wegzieht.

Nur für heute
möchte ich dableiben,
statt aufzustehen und wegzulaufen.

Nur für heute
möchte ich mich neben die Angst setzen,
warten, bis sie spricht.

Nur für heute
möchte ich erleben,
dass Verletzlichkeit
wirklich stark macht.

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Wolkenheimat

Ich möchte mich anlehnen
an das Leben
wie an eine Wolke

Ich möchte mich wiegen
im Wipfel eines Baumes
als Blattknospe,
die schon in sich die Ahnung trägt,
dass sie eines Tages
als Blatt auf die Erde schwebt

Ich möchte hören
die Stimmen der Vögel
am Morgen
und sie übersetzen
in die Sprache der Hoffnung

Ich möchte kosten
den Geschmack der Freiheit
auf meiner Zunge
ohne Risiko
mich daran zu verschlucken

Ich möchte nehmen
den Handschuh der Rastlosigkeit,
ihn nach innen stülpen
und die Spuren der Arbeit
achtsam erkunden
wie eine Handschrift,
die es zu entziffern gilt

Ich möchte geschlossen halten
die bleiernen Lider,
bis der Lufthauch
zart wie eine Feder
sie mitnimmt
an einen Ort der Ruhe

Ich möchte mich wärmen
an der Wohltat
als wäre sie allein durch Reibung
von Tun und Gnade entstanden

Ich möchte mich legen
in eine Hängematte aus Schutz
gespannt über dem Abgrund
der Verzweiflung

Ich möchte empfangen
das Herz
wie eine sich öffnende Tür
in den inneren Raum
im Innersten des Innersten

Ich möchte nachzeichnen
mit dem Finger der Achtsamkeit
die Furchen
im Gesicht der Geschichte

Ich möchte mich schmiegen
an die Dämmerung
und den langen Übergang des Lichts
streicheln,
bis das Samt der Nacht mich umfängt

Foto by C.Henkel

Zerrissen – verbunden

Heute wird es politisch. Oder gesellschaftskritisch. Oder glaubensweit. Bei welchem Begriff bleibst du hängen und horchst auf? Oder umgekehrt: Liest du nicht weiter, weil das nicht hierher gehört? Oder weil dein Bild von meiner Meinung dazu schon feststeht?

Ich fühle mich zerrissen. Die Zeit der Eindeutigkeiten ist vorbei. Schwarz und weiß sind nur die Extreme einer breiten Farbskala des grau. Und das ist nicht verkehrt, denn es bildet die Realität ab. Gleichzeitig verunsichert es, macht vieles un-be-greifbar, nimmt mir den festen Boden unter den Füßen, auf dem ich lange vermeintlich sicher stand. Wie geht es dir: Bist du gerne in Bewegung? Magst du Veränderungen? Ich für mich würde sagen: Ja und Nein – und schon wird es uneindeutig! Ich bin ein neugieriger Mensch, mich interessieren viele Themen, ich höre viele Podcasts, lese Bücher, rede mit Menschen, besuche Tagungen und Kongresse, Workshops und World Cafés usw. Ich bin innerlich unterwegs, stelle mich in Frage, suche nach neuen Wegen und Ideen. Gleichzeitig suche ich nach Halt, nach einem geschützten Raum, nach Sicherheit und Beständigkeit. Es wäre eine Katastrophe für mich, wenn ich von heut auf morgen meine Wohnung verlieren würde (wie es vielen Hunderttausenden von Menschen gerade passiert!). Hier erlebe ich Stabilität, verlässliche Beziehungen, wiederkehrende Rituale, eine gleichbleibende Ordnung in den Schränken (auch wenn es nicht so aussieht :-), hier habe ich meine Sachen, meinen Raum. Vielleicht brauche ich diesen äußeren Raum gerade, weil es in meinem Inneren manchmal zu viel Bewegung, zu viel Eruption und Unsicherheit gibt. Was gibt dir Halt? Wo erlebst du Verlässlichkeit? Was darf nicht wegbrechen, damit du stabil bleibst?

Nun ist viel weggebrochen in den letzten 2 Jahren. Das Ausmaß der inneren Instabilität ist meines Erachtens noch überhaupt nicht sichtbar oder greifbar. Wir mussten uns gesamtgesellschaftlich und vielleicht zum ersten Mal auch global (wobei das auf die Klimakrise auch zutrifft, aber da treffen die Einschränkungen und gesundheitlichen Folgen – noch – nicht jeden einzelnen, jede einzelne) mit einer Krise auseinandersetzen, die so vieles zum Teil von heute auf Morgen erschüttert und verändert hat. Wir mussten zunächst verstehen: Worum geht es eigentlich? Woher hole ich mir Informationen? Welchen Nachrichten, Medien, Quellen kann ich überhaupt trauen? Wie sehr muss ich mich inhaltlich in Virologie, Medizin, Politik einarbeiten, um mir überhaupt eine Meinung bilden zu können? Ich für meinen Teil merke: Dieser Prozess ist bei mir bis heute nicht abgeschlossen. Wie groß ist da der Wunsch nach Klarheit, Eindeutigkeit: Nun sagt doch endlich, was es bedeutet und was wir machen sollen! Und andere wehren sich genau dagegen: Jetzt sagen mir auch noch andere, was ich machen soll!

Mittlerweile reklamiert jeder und jede für sich die persönliche Freiheit der Meinungsäußerung. Ist das richtig? Auch hier gilt wieder: Ja und Nein. Es ist gut, wenn ich mich auf das verlassen kann, was andere recherchieren, analysieren und verstehbar kommunizieren, worin ich keine Expertin bin. Und gleichzeitig lasse ich mir das ungern als Eindeutigkeit verkaufen, möchte mir selbst eine Meinung bilden, überprüfe, was es für meine persönliche Situation bedeutet, was „von oben“ entschieden wurde. Es ist je nach eigener Prägung und Persönlichkeit ein Reflex zu spüren: Ich komme zu kurz! Ich werde übersehen! Niemand fragt nach mir! Dahinter stecken vermutlich viel ältere Erfahrungen und Ängste, die durch die äußere Verunsicherung massiv geschürt werden und mich aus der Bahn werfen. Das in mir anzuschauen ist sehr anstrengend, kostet Kraft und braucht wiederum geschützte und verlässliche Räume. Und genau die sind gerade äußerlich weggebrochen… Ein Teufelskreis.

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Furchtlos

Rau weht der Wind. Dunkel schließt die Nacht das letzte Licht ein. Von Ferne ist das Rauschen der Wellen zu hören. Gischt prallt gegen die Steilwand und versandet. Wer hier schutzlos steht, wendet sich ab und kehrt zu seinesgleichen in das warme Haus zurück. Hier hat er nichts verloren, denn hier ist alles verloren. Das Ende der Welt. Das Ende der Hoffnungen. Abgrund. Mit Spott und Verachtung wenden sie sich ab und folgen ihrem Glück. Suchen das ihre und das Weite. Das hier braucht kein Mensch. Kälte, Abschaum, Verzweiflung, Gewalt und Schreie. Nein, hier haben sie nichts verloren. Das Glück schon gar nicht. Es ist woanders zu finden. Dort, wo alles glatt und glänzend scheint. Zwar hart erkauft, zugegeben. Aber das merken sie nicht.

Näher dran sind nur die Ausgestoßenen. Die Verachteten. Die Randfiguren der Geschichte. Sie kennen sich aus im Dunkeln. Finstere Geschäfte sind ihr Alltag. Schwarz wie die Nacht ist das Herz. Und das weiß jeder. Sie kennen die Verachtung und Gleichgültigkeit, die von den vermeintlich Perfekten zu ihnen herüberschwappt. Es lässt sie kalt. Zu geschunden ist das Herz, ein dicker Panzer lässt alles abprallen. Sie haben sich arrangiert mit der Kälte, der Dunkelheit, dem Hass und der Verzweiflung.

Sie, die da draußen zu Hause sind, wenden den Blick nach oben. War da nicht was? Was war anders als sonst? Der Mut der Verzweiflung lässt sie aufhorchen und aufsehen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Sie folgen ihrem Herzen. Die Hütte taucht vor ihnen auf. Sie kennen sie. Dieser ebenso verachtete Ort ist ein Raum der Ausgestoßenen, der Heimatlosen und Gekränkten. Diese Hütte umwebt heute etwas Magisches. Sie spüren: Etwas ist anders! Sie fühlen sich angezogen wie von einem Magneten. Sie wissen tief in ihrem Inneren: Hierin liegt die Wahrheit. Sie schleichen um den notdürftigen Bretterverschlag herum. Sie streichen mit den Händen über das rohe Holz. Die Tiere sind auch dabei, ihr Atem bläst neblige Wolken in die Nacht. Ihre Körper beben. Sie wagen nicht zu sprechen, nicht mal zu flüstern. Schweigend umkreisen sie die Hütte bis zur Tür. Wagen sie es?

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ZuMUTung

Das ist doch eine Zumutung! Jetzt soll ich die Sprache verhunzen durch dieses Gendern! Was soll das denn? Das brauchten wir bisher doch auch nicht. Und wie sieht das auch aus? Und noch schlimmer: Wie hört sich das denn an! So spricht doch keiner!

Solche Reaktionen auf die Verwendung von geschlechtersensibler Sprache wie z.B. das Gender-Sternchen (Moderator*innen) oder das Sprechen mit dem „Gender-Gap“ (z.B. Leser:innen) sind immer wieder zu lesen und zu hören. Was lässt Menschen sich so dagegen ereifern? Wogegen kämpfen sie? Wieso wird die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen bzw. Menschen verschiedener Geschlechter als Zumutung empfunden?

Szenenwechsel.

„Woher kommst du?“ werden Schwarze* Menschen und People of Color* (PoC) häufig gefragt. Wenn die Antwort dann „Düsseldorf“, „Herford“ oder „Berlin“ lautet, dann reicht sie nicht aus. Es wird nachgebohrt: „Ja, ja, aber ich meine so wirklich?“ Diese Frage deckt etwas auf, was Menschen nicht-weißer Hautfarbe auf ein äußeres Merkmal von Nicht-Zugehörigkeit reduziert. Der Gedanke: Du kommst nicht von hier, bist niemand von uns, da du anders aussiehst, offenbart, dass es ein „wir“ und ein „ihr“ gibt. Und wer so fragt, gehört zu den „Normalen“. Auch ich habe schon so gefragt. Eine Frau aus meiner Verwandtschaft z.B., die als Freundin neu in unseren Kreis dazu gekommen ist. Als ich die Wirkung dieser – häufig unbedarften und durchaus interessierten – Frage las, fühlte ich mich beschämt. Eine typische Reaktion, wenn struktureller Rassismus entdeckt und angesprochen wird. Schon schließt sich die Frage an: Darf ich als Mensch weißer Hautfarbe darüber überhaupt schreiben? Dahinter gibt es einen Diskurs, den ich gerade erst kennenlerne. Mich als rassistisch bezeichnen zu lassen, empfinde ich auch als Zumutung. Es ist ein längerer Weg, den alltäglichen und strukturellen Rassismus zu bemerken, aufzudecken und schließlich auch zu benennen. Dafür brauche ich Menschen, die mich darauf aufmerksam machen, die mir sagen, wie sie durch meine Worte getroffen sind, die mir helfen, die subtilen und selbstverständlichen Zuschreibungen zu entlarven und gemeinsam an einer Sprache zu arbeiten, die öffnend, integrierend und vielfältig ist.

Zurück zum Gendern. Indem ich als Frau darauf aufmerksam mache, dass ich durch Sprache häufig unsichtbar gemacht werde, löse ich auch in anderen Widerstand, Abwehr, Leugnung, vielleicht Beschämung aus. Ich werde mit meinem Recht auf Sichtbarsein als Zumutung empfunden. Dabei möchte ich niemanden beschämen, bloßstellen oder bekämpfen. Gleichzeitig halte ich die Verwendung von Sprache nicht für beliebig. Natürlich gibt es keine Zensur, jeder und jede darf in unserer freiheitlichen Demokratie alles sagen. Das ist auch gut so. Wie öffne ich den Dialog, ohne dass die oben genannten Reaktionen eintreten? Ohne dass es um einen Streit um sprachliche Ästhetik geht? Wie kann ich einerseits zuhören und mir andererseits Gehör verschaffen für meine Perspektive? Wie gelingt ein Perspektivwechsel, wie ich ihn oben in Bezug auf Rassismus beschrieben habe? Wie gewinne ich Menschen dafür, sich auch in meine Position zu versetzen?

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