Ortswechsel

Anfang Juli besuchte ich eine Schreib- und Tanzwerkstatt bei  Christina Brudeck und Iria Otto zum Thema Verwandlung. Hier ist dieser Text entstanden:

Heiter und geschäftig waren die Tage,
atemlos und ohne Pause,
voller Energie und innerer Leere.
Bis an die Grenzen der Kraft
schaffte ich, vollbrachte ich, tat ich.
Viel Gutes entstand, Produkte ohne Zahl.
Ich sah sie nicht, ich spürte sie nicht.
Nur im Applaus der Welt war ich da.
In mir blieb ich einsam, leer zurück.
Verborgen blieb ein brennender Schmerz und der schlummernde Schatz
eingeschlossen in mein verletztes Herz.

Eine Ahnung wehte hinein in meinen Körper.
Der Atem führte mich in neue Räume.
Angst zog mich zurück, Mut schob mich voran.
Neugier auf neue Landschaften diente mir als Landkarte
für die Reise mit unbekanntem Ziel.
Tiefer und tiefer stieg ich hinab in den Grund –
mal Abgrund, mal Halt, mal Schutz –
dann Verbundenheit, Kontakt,
ein Aufblitzen eines Lichtstrahls aus der Ewigkeit
mit tröstenden und starken Worten:

„Fürchte dich nicht! Du bist es!
Ich sehe dich.
Ich sehe durch all die Schichten aus Angst und Verzweiflung hindurch.
Ich sehe dein Herz.
Ich sehe dich.
Ich rufe dich bei deinem Namen, Christiane, du bist mein.
An mein Herz ziehe ich dich
und lasse dich frei in dein Leben.
Es ist alles schon da.
Du bist.“

Ich spüre Boden unter meinen Füßen.
Mein Blick hebt sich.
Ich stehe oben auf dem Berg.
Ich bin frei.
Nichts hindert mich voranzugehen.
Nichts steht im Weg.
Ich trete vor.
Ich breite die Flügel aus
und fliege zu mir nach Haus.

 

15 Kommentare zu „Ortswechsel

  1. Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
    Liebe Christiane,
    was für ein kraftvoller, tiefsinniger und so poetischer Text, der aus tiefster Seele herausgeschrieben ist.
    Meine Lieblingsstellen:
    *Der Atem führte mich in neue Räume.
    Angst zog mich zurück, Mut schob mich voran
    Ich breite die Flügel aus
    und fliege zu mir nach Haus.*
    Ich habe den Text dreimal hintereinander gelesen und immer noch Gänsehaut davon, danke für dein Vertrauen, diesen sehr berührenden Text zu teilen,
    liebe Grüße,
    Mia

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    1. Liebe Mia,
      DANKE! Ja, die Schreibwerkstatt hat mich sehr in die Tiefe geführt. Das war der Abschlusstext, der die verschiedenen Teilschritte und -texte gebündelt hat. So kann ich, glaube ich, nur in einer kraftvollen, vertrauensvollen Gemeinschaft schreiben. Und das war sie! Auf dem Blog fällt der Text schon etwas aus dem Rahmen, daher auch keine Übung und Reflexion.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  2. Liebe Christiane,
    wie beglückend mit dem Schreiben so eine innere Tiefe ausdrücken zu können und sie zuvor in dieser Schreibwerkstatt erfahren zu haben. Ich meine in dem Text die Ruhe zu spüren, zu der Du gefunden hast. Der letzte Satz -: Ich breite die Flügel aus und fliege zu mir nach Haus – berührt mich sehr.
    Liebe Grüße
    Anne

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    1. Danke, liebe Anne. Die einzige formale Auflage für diesen Text war, dass die letzten Zeilen sich reimen sollten. Als ich diese Sätze geschriebne hatte, wusste ich, dass der Text fertig ist.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  3. Liebe Christiane,
    was für ein wunderschöner, berührender Text. Und welch Kraft und Zuversicht am Ende, nachdem zu Beginn noch die Traurigkeit und die Einsamkeit standen. Diese Zeilen, die die Einsamkeit thematisieren, haben den größten Eindruck auf mich hinterlassen:
    „Nur im Applaus der Welt war ich da.– In mir blieb ich einsam, leer zurück.
    Verborgen blieb ein brennender Schmerz und der schlummernde Schatz –eingeschlossen in mein verletztes Herz.“
    Deine Sprache ist ungeheuer stark in diesem Text, jeder Absatz vermittelt mir sofort ein inneres Bild.
    Danke fürs Teilen.
    Herzlich, Fe.

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    1. Liebe Fe,
      danke für Deine Rückmeldung. Ich spüre selbst noch die Besonderheit dieser Situation nach, die mein Text ausdrückt. Im Focusing sagt man: „Es schreibt“ aus mir…
      Herzlich Grüße
      Christiane

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  4. Liebe Christiane,
    mir gefällt, wie Du schonungslos offen all Deine Gefühle des Hin- und Hergerissen-seins wahrnimmst, zulässt und dann auch noch in so einem schönen Gedicht wiedergibst.
    Schön ist die Abwandlung aus dem Jesaja-Text (Es ist doch Jesaja – oder?), für Dich selbst gesprochen. Die Verankerung im Glauben an Gott und Deine innere Stärke gibt Dir Halt, und das ist einfach wunderbar.
    Liebe Grüße
    Gabriele

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    1. Liebe Gabriele,
      ja, diese Rückmeldung habe ich diese Woche bekommen: ich sei so ehrlich – mit mir und anderen…
      Das Zitat ist aus Jesaja 43,1. Mein Taufvers, der mir viel bedeutet.
      Liebe Grüße
      Christiane

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