Innehalten

Das Tal ist durchschritten.
Es geht wieder aufwärts.

Ein Tal
von vielen Tälern.
Im Tal fließt doch das Wasser,
im Tal blühen die Blumen,
im Tal wohnen die Menschen.
Warum sollte ich auf den Berg steigen?

Der nächste Berg.
Er steht schon vor mir.
Warum ist aufwärts gehen so positiv besetzt?
Aufwärts gehen ist anstrengend!
Die Last liegt auf meinen Schultern.
Wie leicht kann das Gepäck sein?
Was lasse ich im Tal?
Welche Wegzehrung benötige ich?

Mich nehme ich mit.
Das ist Last genug.
Und Lust genug,
Kraft genug,
Ausdauer genug.

Mir vertrauen.
Vertrauen in den Aufstieg.
Oben wartet die Aussicht.
Gipfelerlebnisse
sind nicht alltäglich.
Nicht jeder Aufstieg
wird mit einem Ausblick belohnt.

Manches ist nicht der Mühe wert.
Woher weiß ich das vorher?
Welche Mühe lohnt sich?
Reicht nicht das Gehen?

Schritt für Schritt
Den Weg sehen.
Den nächsten Schritt gehen.
Rechts und links
des Wegs schauen.
Die Kleinigkeiten
am Wegesrand entdecken.

Den Körper spüren.
Die Muskeln,
die mich bewegen.
Das Knochengerüst,
das mich hält.
Den Atem spüren.
Außer Atem kommen,
wenn der Weg ansteigt.

Innehalten.
Mich niederlassen.
Zur Ruhe kommen.
Mal nicht weiterkommen müssen.
Mal gar nicht müssen.
Überhaupt weniger müssen.
Nur für den Moment.
Nur für diesen Augenblick
und den nächsten
und den nächsten …

Ausatmen
Platz nehmen
Meinen Platz einnehmen
Nur für Jetzt
Nur für mich

Die Wegstrecke unterbrechen.
Wer sagt denn,
dass es immer aufwärts gehen muss?
Die Welt hat so viele Ebenen!
Kammwege, Flussufer, Strände –
Wer sagt denn,
dass es immer bergauf gehen muss?

Mich umsehen,
dort, wo ich gerade bin.
Nach innen schauen,
innen Ausschau halten,
in mir Ausschau halten.
Nach mir Ausschau halten.
Bin ich da?
Bin ich gerade in mir da?
Finde ich mich in mir?
Wie ist es in dem Raum in mir?

Was finde ich,
wenn ich den Raum durchschreite?
In einer Spirale geht es
in die Tiefe.
Runde um Runde
wird es enger, schneller.
Es droht mich zu verschlingen.
In mir ist ein Abgrund.
Ich falle.
Falle in den bodenlosen Abgrund.
Falle
Falle
in die Tiefe.
Tauche ein
in das sanfte Gehaltensein
auf dem Grund.
Sanft gehalten sein
und frei,
mich fallenlassen.
Loslassen
ohne mir verloren zu gehen.

Da bin ich.
Es ist alles schon da.
Der Raum da oben
ist zu eng geworden.
Enge macht Atemnot!
Aus der Haut fahren!
Ich könnte platzen!

Was ist,
wenn mein Leben auseinanderfällt?
Wenn die Bruchstücke und
die losen Enden offenbar werden?

Das Versäumen
Das Vergessen
Das Vernächlässigen
Das Versuchen
Die Versuchungen
Die Verkantungen
Die Verletzungen
Der Verlust
Das Verkommene
Das Verlustigegangene
Das Verlangen
Das Verlorene
Das Vermisste
Das Vernünftige
Das Verborgene
Das Verschwundene

Wie soll ich das alles
wieder einsammeln?
Oder Loslassen?
Lassen
lassen
lassen
loslassen
verlassen
anfassen
weglassen
davonziehen lassen
ablassen
belassen

Es dabei belassen
Mich lassen
Mich bei mir belassen
Es bei mir belassen lassen
Frei lassen.

Photo by Dirk Henkel



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