Gott träumt mich

Der Text von Dorothee Sölle hat mich angeregt, mir vorzustellen, wie Gott mich träumt.

Du hast mich geträumt mein Gott,
wie ich den aufrechten Gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt.

Hör nicht auf, mich zu träumen, Gott,
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein Baum bin
gepflanzt an den Wasserbächen des Lebens.

Dorothee Sölle

Du träumtest mich nicht
mit Blumen im Haar,
aber mit Worten, die in meinem Herzen blühen.

Du träumtest mich nicht
mit gradlinigen Wegen,
aber mit den Entdeckungen an den Rändern der Lebensumwege.

Du träumtest mich nicht
mit überfordernden Aufgaben,
die ich nicht schaffe abzuarbeiten,
aber mit Leichtigkeit und Begeisterung in meinem Herzenstun.

Du träumtest mich nicht
mit der schweren Last eines Schutzpanzers auf meinen Schultern,
aber mit der Weichheit eines gelösten Gesichts.

Du träumst mich
mit Diamanten auf dem tiefsten Grund meiner Verletzlichkeit.

Du träumst mich
immer noch als das fröhliche Kind,
das nicht aufhört zu tanzen.

Du träumst mich
mit einem strahlenden Gesicht
und einer einfühlsamen Traurigkeit.

Du träumst mich
mit der Kraft und Stärke,
von der ich fürchte, dass andere sich davor fürchten.

Du träumst mich
mit dem Band,
das mich mit der göttlichen Ewigkeit
und mit anderen verbindet.

Du träumst mich
mit dem Riss in der Seele,
durch den dein Licht leuchtet
und meins für andere.

Du träumst mich
mit den heilenden Händen,
mit denen ich deinen Segen weitergebe.

Du träumst mich
mit den Funken der göttlichen Liebe,
die in meinen Augen aufblitzen.

Du träumst mich
mit dem Mut zu vertrauen
trotz und in allem.

Am Ende
der Suche
und der Frage
nach Gott
steht
keine Antwort
sondern

eine Umarmung

Dorothee Sölle

Photo by Javardh on Unsplash

Komm

Dies ist für alle Kinder, auch die inneren, wenn sie sich verloren, traurig, beschämt, verletzt und einsam fühlen.

Komm und berge dich

Komm an meine Hand
ich begleite dich.

Komm in meine Arme
ich halte dich.

Komm an meine Brust
ich nähre und wärme dich.

Komm auf meinen Schoß
bei mir bist du sicher.

Komm lehn dich an
ich streichle dich.

Komm und weine
ich tröste dich.

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Poetry beauty

Der Tag ist noch so jung und
ich fühl mich schon so alt.
In meinem Herzen wird es kalt,
so schaudert mich vor diesem Tag.

Der Blick aus dem Fenster wird starr,
bleibt hängen an den kahlen Bäumen.
Was wir alles versäumen
in diesen Tagen, die so leer sind wie sie.

Viel zu viel ist offen,
viel zu viel ist ungewiss und ungeklärt.
Es ist so wie es ist, fährt
es mir durch die Glieder und ich schweige still.

Zur Unbeweglichkeit verdammt
friste ich mein Dasein diese Tage,
warte Stunde um Stunde und die Frage
drängt sich auf, wann das endet.

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Ausrichten

Zitternd schlägt die Kompassnadel aus
Orientierungslos
Zerrissen zwischen den Polen
Hin und her schwankend
Die Ausrichtung fehlt
Bin ich außerhalb des Magnetfeldes geraten?
Muss ich mich aus eigener Kraftanstrengung neu justieren?
Wie komme ich zurück in das Energiefeld?

Mich ausrichten _ _ _ _ . . . _ _ _ _
mich hinhalten
mich loslassen
mich fallen lassen
Erden
Sammlung
Stille

Keine äußeren Vorschriften
Die Nadel muss sich frei bewegen dürfen
Kein Ankleben, kein Anheften

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gesehen

diese Sehnsucht spricht aus jedem Blick
bedürftige Augen
ungestillter Hunger nach Liebe, Aufmerksamkeit und Wertschätzung
Gib mir mehr davon!
sagen sie.
HIER bin ich!
rufen sie.
Sieh mich doch an!

Wie fühlt es sich an
bis auf den Grund
gesehen
zu werden?

Tief hinein
fällt der Blick der Liebe.
Zuerst ein Erzittern und Erschaudern.
Ein Hauch Misstrauen und Angst.

Der Blick bleibt beständig
wendet sich nicht ab
auch wenn dabei alles zu Tage kommt:
aller Zerbruch
alle Scherben
alle Wunden
alle Schmerzen
alle Schreie
alle Hilflosigkeit
alles Ausgeliefertsein
alles Kämpfen

Keine Scham
Kein Weglaufen
Kein Schutz
mehr nötig.

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Chronik einer Kontakt-Isolation/Improvisation

Woche 1

1. Tag
Alle Termine werden abgesagt. Kein Sportkurs, kein Qigong, keine Gottesdienste mehr. Ich schmiede Pläne, was ich alles in der Zeit zu Hause machen könnte, schreiben z.B. Was will ich „draußen“ noch erledigen, bevor die Ausgangssperre kommt? Sie schwebt schon über uns. Ich fahre noch einmal zur Uni-Biliothek und fülle den Vorrat an Fachliteratur auf. Ich gehe einkaufen und ertappe mich dabei, mehr zu kaufen, als wir unmittelbar benötigen. Aha. Soso. Kein Klopapier da.
Gestern war ich noch in Würzburg beim Focusing. Heute hänge ich vor den Nachrichtensendungen, um zu realisieren, was da passiert.
Ich notiere für die Blog-Überschriftensammlung: Herzensweite und Mitmensch.

2. Tag
Frühlingswetter. Der Tag verliert an Struktur. Unerwartet kommt das CoWorking zu mir nach Hause. Kein Rückzugsort mehr zum Meditieren. Ich mache Pläne. Und halte sie nicht ein. Werden wir digital lehren müssen? Was heißt das? Erste Recherche. Ich nehme Kontakt mit den Kollegen auf. Womit vergeht der Tag?

3. Tag
Markteinkauf. Die Leute sitzen im Sonnenschein auf Bierbänken. Bitte? Mir wird es mulmig. Dichtes Gedränge wie immer. Immer noch kein Klopapier.
Wir üben uns im Homeoffice. Ich bin schon Zoom-Fachfrau und zeige es meiner Familie. Ich besorge Second Hand ein drittes Laptopkissen, so können wir alle auf dem Sofa arbeiten. Ach was, an arbeiten ist nicht zu denken. Wo sind meine Gedanken?
Ich braue uns einen Vitaminshot aus Ingwer, Kurkuma, Sanddorn- und Zitronensaft  (danke an Andrea). Viren, Ihr kommt nicht gegen unsere Abwehr an!

4. Tag
Wir treffen uns zu digitalen Morgen-Meditationen in der virtuellen Hoffnungskirche. Das ist ein guter Start in meinen Tag. Die Aktivitäten verlagere ich aufs Aufräumen, Werkeln, Kochen. Telefonieren.

5. Tag
Ich bekomme innerhalb von 2 Tagen fünf Newsletter zur aktuellen Lage. Panik! Sollte ich jetzt auch einen Newsletter schreiben? Ja, es wäre doch toll, jetzt Schreibideen in die Welt zu schicken, Blogparaden zu veranstalten, die virtuelle Welt schreibend zu besetzen. Stattdessen: Rückzug. Ich mache To-Do-Listen ohne etwas zu tun. Telefoniere.
Kaum Struktur. Kraftlos. Nur das Kochen wird regelmäßiger. Grundbedürfnisse versorgen. Die Regale im Supermarkt werden immer leerer. Wird es Engpässe geben?
Ich bin dankbar: Für die Grundversorung in unserem Land: Wasser, Heizung, Müllabfuhr, Lebensmittel. Und besondern das Gesundheitswesen.
Homeoffice – Titel eines Blogpost.

6. Tag
Ab heute keine Pläne mehr. Könnte auch im Bett liegen bleiben. Mein Mann und das schöne Wetter locken mich raus. Draußen fühlt sich alles so unwirklich normal an. Es täuscht. Ich beginne neue Routinen zu entwickeln. Jetzt ist doch eine gute Zeit, mal etwas Ungewöhnliches auszuprobieren. Haare mit Haarseife waschen z.B.
Ungewöhnliche neue Routinen: Nachrichten gucken. Jeden Tag Kochen. Zentangles malen.

7. Tag
Predigt gibt es Online. Genauso wie Predigtnachgespräch. Überhaupt findet jetzt alles Online statt: Kolleginnengespräche, Treffen mit meinen Studienkolleg:innen. Ich gebe ein kleines Klavierkonzert mit offenem Fenster – auf die Straße und in die virtuelle Welt.

Woche 2

8. Tag
Keine Pläne mehr. Außer die alltägliche Versorgung. Heute ergattere ich Klopapier! Irgendwie erleichtert. Das Homeoffice braucht mehr Struktur. Wir suchen einen gemeinsamen Rhythmus für die Mahlzeiten.
Ich beschäftige mich intensiver mit digitaler Lehre. Am besten ich probiere es gleich selbst aus. Dabei kommt ein „Screencast“ für meine Kollegen heraus zu didaktischen Fragen digitaler Lehre.

9. Tag
Heute verbringe ich den größten Teil des Tages in Zoom-Treffen. Von der Morgen- bis zur Abendandacht und dazwischen noch 3 weitere Treffen.
Der Tag bekommt mehr Struktur: Frühstück, Qigong, Morgenandacht. Nachmittags fahre ich sogar Fahrrad.
Blogparadenidee: Eine Zukunftsvision à la Horx schreiben. Mutopia: Blick zurück.

10. Tag
Ich versuche heute ein Tagesprotokoll anzufertigen. Es lässt sich nicht rekonstruieren, womit der Tag vergeht. Einkauf. Telefonieren. Mails. Aufräumen. Rechnerprobleme beheben. Klavier spielen. Die Zeit verrinnt im Nichts.

11. Tag
Fühle mich wieder arbeitsfähig. Was mir dazu hilft: Kontakt, Kommunikation, Bewegung! Die Meldungen ändern sich nicht mehr täglich. Routinen stellen sich ein.
Ich kann besser einordnen, was passiert: Die Unruhe, die Ungewissheit wirken in meinem Körper. Es geht laufend Energie verloren wie beim Trauern.

12. Tag
Das war ein guter Tag mit Kontakt, neuen Ideen, Kreativität. Ich bete ein Körpergebet und stelle es anderen zur Verfügung. Teilen macht mich reicher.

13. Tag
Ich komme mit den Wochen und Wochentagen durcheinander. Ach, Montag beginnt noch nicht die Kar-Woche? Ich bin müde.

14. Tag
Zuhausegottesdienst mit Liturgie und Online-Predigt. Immerhin singen wir zu zweit am Klavier.
Nachmittags treffen wir uns als Familie! Wir sehen uns alte Familien-Dias an und mein Vater erzählt Geschichten aus unserer Kindheit. Tröstlich und belebend. Wenn auch nur digital.

Woche 3

15. Tag
Diese Woche gestalte ich die Morgenmeditation: Der Raum in mir. Es gibt mir eine Struktur und Kraft, etwas zu teilen.
Sommerzeit ist wie immer nichts für mich.
Es wird kritisch. Ich sehne mich nach Kontakt! Ich brauche menschliche Begegnung und zwar live mit Fleisch und Blut, Körper in einem Raum. Gespräche im Café, Treffen mit meiner Focusing-Partnerin, mein Hauskreis live auf unserem Sofa, Menschen neben mir im Gottesdienst. Ich möchte wieder mit anderen tanzen, gemeinsam singen, Bewegung und Gewusel, Berührung und Umarmungen.
Gestern packte mich die Angst, sie hielt mich fest und wach. Was ist, wenn Corona Indien erreicht? Oder Syrien? Die Flüchtlingslager auf Lesbos oder in der Türkei? Wenn es nach Afrika rüberschwappt? Und das wird passieren. Das wird alles passieren. Das wird ein Massensterben von nie dagewesenem Ausmaß. Die Menschheit wird dezimiert werden. Die Schere zwischen arm und reich wird so massiv auseinandergehen. Die Länder werden es nicht schaffen, leiden an mangelnder Hygiene und ohne stabiles Gesundheitssystem. Wie wird Familie Mensch dann zusammenhalten? Wie können die reichen Länder, die die Krise hinter sich haben, alle Mittel dafür aktivieren, die Welt zu retten, Aufbau in betroffenen Staaten leisten, Rettungsschirme für die Ärmsten aufspannen? Mal alle Wirtschaftskraft statt in die Börse in die Ernährung und Versorgung von Menschen investieren? Wird es nach unser überstandenen Krise egal sein, wie es der Welt geht? Werden wir weggucken und sagen, die müssen allein klarkommen? Wer entscheidet über Leben und Tod?

16. Tag
In diesen Tagen werden die „Helden des Alltags“ gewürdigt: der Informatiker, der sich spontan als Erntehelfer einsetzt. Die Lehrerin, die ihre Schüler:innen online mit Aufgaben versorgt und sich sorgt um die, die zu Hause nicht unterstützt werden. Die Pfarrerin, die Online-Gottesdienste aufnimmt und zum Telefonhörer greift.
Was ist mit den unsichtbaren Held:innen, die gerade alle Kraft für sich selbst brauchen, die versuchen sich zu stabilisieren, die nicht verdrängen, wie es ihnen geht, nicht darüber weggehen, sondern sich den Gefühlen in sich stellen und im besten Fall dann gut mit sich sind. Auch wenn das heißt: Zuhause und allein bleiben. Wer sieht jetzt all die Kinder, denen es zu Hause nicht gut geht, die geschlagen und misshandelt werden? Wer sieht die psychisch Belasteten, die kein Therapiegespräch wahrnehmen können, die tiefer und tiefer in ihren Abgrund sehen?
Wer brauche heute meine Aufmerksamkeit?

17. TagZentangle by CHenkel
Morgendmeditation. Arbeit, Unruhe. Klavierspielen. Malen.

18. Tag
Morgendmeditation.
Erste lange Teamsitzung online.

19. Tag
Ich lerne viel in dieser Zeit. Manches unfreiwillig und notgedrungen. Anderes bewusst und zielgerichtet. Online lehren – dabei geht für mich vieles verloren von meinen Stärken, von meiner didaktischen Expertise und Kompetenz. Ich will nicht gegen diesen Widerwillen ankämpfen. Ihn nutzen scheint aber auch (noch?) nicht möglich. Mein Ehrgeiz ist geweckt, so viel wie möglich „rüberzuretten“. Das kostet Zeit und Engerie.
Kontakt muss bewusst hergestellt werden. Telefon, Briefe, E-Mails, Video-Konferenzen. Wen möchte ich treffen? Wen sprechen? Wem schreibe ich? Wer schreibt mir?

20. Tag
Ein Samstag, der vergeht. Wie werde ich die Unruhe los? Gartenarbeit. Klavierspielen. Kochen.

21. Tag
Hausgottesdienst mit Singen, Liturgie und Online-Predigt. In mir wehrt sich etwas, das normal zu finden. Nachmittags Ostervorbereitungen. Wenigstens dafür bin ich in der Kirche.

Woche 4

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Erkannt

Die schützende Oberfläche bricht auf
Durch die verhärtete Struktur geht ein Riss
Schmerzvoll bricht es auf
Licht strömt herein
Ungewohnte Helligkeit
Es wird langsam hell.

Da zieht sich etwas in mir zurück
Will nicht gesehen werden
Sucht den hintersten Winkel auf
Will im Verborgenen bleiben.
Unter der Oberfläche liegen
die Gefühle von Ohnmacht
Hilflosigkeit und Scham.
Ich fühle mich klein, verloren, allein.

Und darunter ist diese Traurigkeit
Die unendliche Traurigkeit.
Ich falle tiefer und tiefer
Nichts als Tränen.

Und durch den Nebel der Traurigkeit
wische ich am Ende den Blick frei.
Unten angekommen.

Erkannt werden.

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Der geschenkte Tag

Wenn ich einen Tag geschenkt bekäme,
würde ich aufräumen mit meinem Leben.

Wenn ich mit meinem Leben aufräumen würde,
würde ich all das rausschmeißen, was nicht zu mir gehört.

Wenn ich all das rausgeschmissen hätte, was nicht zu mir gehört,
wäre ich frei.

Wenn ich frei wäre,
könnte ich einfach ich selbst sein.

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Teebeutelweisheiten

Nichts ist wie Du,
nichts war wie Du,
nichts wird je wie Du sein.

Während einer meiner Workshops der letzten Wochen mache ich mir eine Tasse Tee und finde diese Teebeutelweisheit. Sie spricht mitten hinein in mein Leben, über das ich gerade wieder viel nachdenke: Wohin geht die Reise? Was lasse ich hinter mir? Wie wird das Neue sein? Was nehme ich mit?

Und dann die überraschende Antwort: ich selbst. Nichts ist wie ich. Ich nehme mich mit. Mit allem, was zu mir gehört. Während ich immer wieder darüber nachdenke, wo mein Platz ist, entdecke ich ebenfalls überraschend: Hier. Mein Blog ist einer meiner Plätze, an denen ich ich sein kann. Natürlich nie mit allem, was mich ausmacht, das ließe sich auch nicht auf einer digitalen Schreibplattform ausdrücken! Dieses Schreiben bringt mich in Kontakt mit mir, ich gehe der Spur nach zu meinem Inneren, zum Lebendigen.

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